Wolfgang Brunner ist ein Schriftsteller, der die Abwechslung liebt. Sowohl
als Autor wie auch als Leser bevorzugt er kein bestimmtes Genre, sondern legt Wert auf den Inhalt der Geschichten.
„Ein Krimiautor muss doch nicht Zeit seines Lebens Krimis schreiben“, sagt der Mittvierziger, wenn er auf dieses Thema angesprochen wird. „Es gibt so viele verschiedene Ideen im Kopf eines
Schriftstellers, die sich definitiv nicht immer in dasselbe Genre einordnen lassen können und sollen.“
Mit „Cryptanus – Der Geruch des Todes“ legte Brunner 2009 sein Debüt vor, den ersten Teil einer Serie, die sich auf literarische Weise mit dem Leben nach dem Tod befasst und durch die Verarbeitung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse eine stets wachsende Fangemeinde verzeichnen kann. Die beiden ersten Bände sind mittlerweile vergriffen, eine Neuauflage ist zusammen mit dem abschließenden dritten Teil für Anfang 2013 geplant.
Nach dem Michael Ende gewidmeten All-Age-Abenteuer „Kim Schepper und die Kinder von Marubor“ erschien der zweite Teil der Cryptanus-Reihe („Das Geheimnis von Griphus Nix“) und der Horror-Roman „Nachtzug“, der ein Schreckensszenario mit genmanipulierten Hybriden aus Mensch und Hyäne schildert, die auf einen im winterlichen Schneetreiben liegengebliebenen Zug treffen und zwischen den Passagieren ein Blutbad anrichten.
Brunners Vielfalt zeigt sich letztendlich in seinem zuletzt erschienen Roman
„Die Weiße Frau“, in dem er eine alte regionale Legende aus seiner Wahlheimat Hamminkeln am Niederrhein aufgreift und die spärlichen Ergebnisse seiner Recherchen geschickt in eine fiktive, tragische
Liebesgeschichte einbaut. Der historische Roman findet nicht nur bei regionalen Leserinnen und Lesern großen Anklang, schildert er doch eine sich über Konventionen und sogar Tod hinwegsetzende
Beziehung, die jedem von uns passieren könnte.
Im nachfolgenden Interview gibt Brunner einen Einblick in seinen Arbeitsalltag und erzählt von kommenden und geplanten Projekten.
Bücher & Genuss: Deine Romane sind in verschiedenen Genres angesiedelt. Wie kommt es, dass sich ein Schriftsteller partout nicht festlegen will?
Brunner: Ich fände es langweilig, würde ich nur Bücher einer Richtung lesen.
Genauso empfinde ich es mit dem Schreiben, zumindest was die Belletristik angeht. Ich käme nie auf die Idee, ein Sachbuch zu schreiben. Aber sich in oder auch zwischen gängigen Genres zu tummeln
macht unglaublich viel Spaß.
Vor allem sehe ich die Qualität eines Schriftstellers nicht in der strikten Einhaltung einer bestimmten Richtung, sondern in der Geschichte selbst. Ich bin der festen Überzeugung, dass bei vielen
Autoren ein enormes Potential verloren geht, weil sie sich nicht aus ihrer Schublade wagen und einmal etwas völlig anderes schreiben. Das mag zum einen an den Schriftstellern selbst liegen, zum
größten Teil aber kreide ich diese Einschränkung künstlerischer Entwicklung auch den großen Verlagen an, die geradlinige Erfolgswege beschreiten wollen und sich in der Regel auf derartige Belange von
Autoren nicht einlassen. Einmal Fantasy, immer Fantasy oder in welchem Genre sich ein Autor auch immer erfolgreich etabliert hat.
Allerdings ist mittlerweile bei einigen Kolleginnen und Kollegen, aber auch Verlagen, ein Umdenken festzustellen: John Grisham und Carlos Ruiz Zafon zum Beispiel schreiben wie Isabell Allende und
Elizabeth George plötzlich auch Jugendbücher. Ralf Isau, der mit Jugend- und Fantasybüchern bekannt wurde, schreibt mittlerweile gelegentlich Thriller und Stephen Baxter, der mit außergewöhnlicher
Science Fiction begann, legt heute ebenso Romane mit historischem Hintergrund oder Endzeitvisionen vor.
Bücher & Genuss: Das hört sich an, als könnten sich Deine Leserinnen und Leser noch auf einige Überraschungen gefasst machen. Kannst Du denn verraten, was Du noch in petto hast?
Brunner: Da sind tatsächlich noch einige fertig gestellte, aber noch nicht redigierte Manuskripte in meiner Schublade, die zeigen, dass ich mich nicht kategorisieren lasse. Um bei den fertigen Romanen zu bleiben: ein Märchen-Roman, ein Gefängnis-Thriller, eine Science Fiction-Dystopie, ein Familiendrama um Kindesmisshandlung, ein genreunüblicher Horror-Thriller, der die komplette Handlung ausschließlich in Form von Tonband-, Videoaufzeichnungen und Tagebucheinträgen dokumentiert, zwei Kinderbücher für verschiedene Altersstufen und die weiteren Teile meiner Cryptanus- und Kim Schepper-Reihe warten darauf, überarbeitet und für eine Veröffentlichung vorbereitet zu werden.
Bücher & Genuss: Das klingt in der Tat interessant und macht neugierig. An welchem Projekt arbeitest Du derzeit?
Brunner: Momentan schreibe ich eine Hommage an John Irving mit dem
Arbeitstitel „Die Wahrscheinlichkeit der Liebe“. In meinem Horror-Roman „Nachtzug“ spricht der Protagonist Thomas Kassner, ein Schriftsteller, über dieses Buch, dem ich mich nun im realen Leben
widme. Es ist die Geschichte eines Mannes, der Zeit seines Lebens auf der Suche nach Liebe ist. So geht es mit Sicherheit vielen Menschen und ich möchte mit meinem Roman zeigen, dass diese Suche oft
hoffnungslos erscheinen mag, aber letztendlich immer Sinn macht und uns bis zu unserem Tod reifen lässt, wenn wir diesen Sinn verstehen.
Die Geschichte ist eine Verbeugung vor dem großartigen John Irving, aber auch vor dem Leben selbst und allem, was dazu gehört.
Parallel arbeite ich aber noch an zwei anderen Projekten.
Zum einen handelt sich um eine Story, die an die Horrorfilme der 80er, 90er und auch 2000er Jahre erinnern soll. Der Arbeitstitel lautet „Scary Monsters“ und schildert den Kampf von Jugendlichen
gegen Außerirdische. Schauplatz ist ein Abenteuer-Vergnügungspark.
Zum anderen beschäftige ich mich mit einem Wissenschafts-Thriller, der die Möglichkeit beschreibt, durch moderne Operation eine zweite Identität und damit die Chance für ein neues Leben zu bekommen.
„L.E.B.E.N.2.0.“ ist der geplante Titel dieses Romans.
Bücher & Genuss: Das hört sich nach einer Menge Arbeit an. Wie sehen Deine Arbeitszeiten aus und wie verbringst Du Deine Freizeit?
Brunner: Außer dem Schreiben, dem ich den größten Teil meiner Zeit widme,
gehe ich noch, wie viele andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller, einem Brotjob nach.
Meine Freizeit verbringe ich seit fast zwei Jahrzehnten fernsehlos. Was für viele Menschen wahrscheinlich unglaublich klingt, verschafft mir aber jede Menge Zeit, die ich in erster Linie mit Lesen
und langen Gesprächen mit meiner Lebensgefährtin ausfülle. Oft bekomme ich zu hören, dass solche Abende doch ziemlich langweilig wären. Doch wenn ich daran denke, wie viele Stunden Menschen damit
verbringen, jeden Abend schweigend vor dem Fernsehapparat zu sitzen und sich teilweise Sendungen ansehen, die sie im Grunde genommen gar nicht interessieren, dann bevorzuge ich eindeutig meine
Freizeitgestaltung.
Außerdem höre ich viel und intensiv Musik verschiedener Richtungen und schaue mir auch mal ganz gerne einen Film an. Den aber dann nur auf DVD, um eben nervigen Werbeblöcken und unsinnigen Kürzungen
zu entgehen.
Bücher & Genuss: Was sagst Du zu Ebooks und Kindle?
Brunner: Das ist eine Frage, die mir zugegebenermaßen schwer im Magen liegt.
Ich sehe in dieser Art der Buchvermarktung sicherlich eine Angebotserweiterung, die wahrscheinlich in unserer Zeit unumgänglich ist. Doch die digitalisierte Form eines Buches reduziert in meinen
Augen das Werk eines Autors zu einer belanglosen Massenware, die billig aus dem Internet heruntergeladen und auf minimalem Platz abgespeichert werden kann. Wie in der Musikbranche das MP3-Format
verschafft das Ebook dem Besitzer Unmengen an „künstlerischen“ Daten, die er in der Regel ohnehin nicht nutzen kann, sei es aus Zeitgründen oder schlicht wegen eines „Daten-Overloads“.
Kaufte man sich früher ein Buch oder ein Musikalbum, weil es einen interessierte, neigt man heute schnell dazu, sich für billiges Geld die entsprechenden Daten nur des Besitzes Willen
herunterzuladen. Von der Datenklau-Piraterie ganz zu schweigen.
Konzentrierte man sich also noch vor einiger Zeit auf ausgewählte Dinge, geraten viele Menschen durch die Digitalisierung unweigerlich in einen Brei aus Überangebot und Oberflächlichkeit.
„Haben, haben, haben“, lautet da oft die Devise und ein qualifiziertes Urteil über die Arbeit eines Künstlers, sei es nun ein Autor oder Musiker, bleibt leider oft auf der Strecke.
Wir leben in einer schnelllebigen Zeit und Kindle und Konsorten sind für mich Auswirkungen davon. Im Bereich Belletristik sehe ich daher diese Entwicklung als notwendiges Übel, das ich als Leser
nicht in Anspruch nehmen werde. Für schulische oder auch wissenschaftliche Zwecke erkenne ich durchaus Sinn.
Im heimischen Wohnzimmer mit einem Kindle, oder Notebook auf der Couch zu sitzen, um den neuen Roman von „XYZ“ zu lesen, halte ich, ‘buchtechnisch’ gesehen, für unästhetisch.
Aber vielleicht bin ich auch einfach nur altmodisch …
Bücher & Genuss: Du besitzt weder Auto noch Handy – schreibst Du denn Deine Bücher mit der Hand oder am PC?
Brunner: Die Rohfassungen schreibe ich generell am PC. Wenn ich schreibe,
vergesse ich die Welt um mich und bin in meinem Schreibfluss schlecht zu bremsen. Per Hand würde es mir einfach zu lange dauern, da ich gedanklich meist schon beim nächsten Satz bin, während ich den
vorhergehenden noch tippe.
Die Überarbeitung findet dann allerdings per Hand am Wohnzimmertisch und nicht mehr am Computer statt. Dabei muss ich streichen, hinzufügen und Notizen machen können, sonst würde das Redigieren nicht
funktionieren.
Da werden dann auch oft Passagen mit meiner Lebensgefährtin diskutiert, Sätze umgestellt und/oder gestrichen.
Diese Dinge müssen in Papierform geschehen und „fühlbar“ für mich sein.
Bücher & Genuss: Eine letzte Frage: Wie wichtig sind Dir Lesungen bzw. der Kontakt zu Deinen Leserinnen und Lesern über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter?
Brunner: Ich finde den Kontakt zwischen Autor und Leser sehr wichtig. Gerade
in Zeiten des Internet geht so etwas schnell und unkompliziert. Im direkten Kontakt bei Lesungen erlebe ich hautnah und live mit, wie das Publikum auf meine Geschichte reagiert. Das ist enorm
wichtig, um zu erkennen, ob ich tatsächlich die Wirkung erreiche, die ich beim Schreiben der Textstellen im Sinn hatte. Oft ist es ja so, dass ich mich beim Schreiben fast schon in einer Art Ekstase
befinde, deren Ergebnisse dann womöglich beim Lesen unnatürlich und gekünstelt wirken.
Erst bei Lesungen stellt sich heraus, ob ich die Gefühle, die ich beim Schreiben hatte, auch genauso rüberbringen konnte.
Um noch einmal auf die sogenannten Social Networks zurück zu kommen: ich hätte mich damals als Leser gefreut, wäre es möglich gewesen, Kontakt zu einem meiner Lieblingsschriftsteller aufnehmen zu
können. In meiner Jugend musste man sich noch an die Verlage wenden, um überhaupt die Chance zu bekommen, ein paar schriftliche Worte an einen Autor richten zu können.
Facebook bietet in der heutigen Zeit ganz andere Möglichkeiten. Durch die „Gefällt mir“-Seiten zum Beispiel kann man die Neuigkeiten eines Autors automatisch verfolgen.
Bücher & Genuss: Du bist also auf Facebook vertreten?
Brunner: Als Autor und Privatperson.
Bücher & Genuss: Ich bedanke mich herzlich für das Interview und wünsche Dir weiterhin viel Erfolg.
Brunner: Ich habe zu danken.
Bibliografie:
Cryptanus – Der Geruch des Todes. Projekte Verlag, Halle 2009, ISBN: 978-3866347717
Kim Schepper und die Kinder von Marubor. Noel Verlag, Oberhausen 2010, ISBN: 978-3940209511
Cryptanus – Das Geheimnis von Griphus Nix (Zweiter Teil des Cryptanus-Zyklus). Noel-Verlag, Oberhausen 2011, 360 S., 17,80 €, ISBN: 978-3-940209-95-5
Problem, Reaktion, Lösung. Kurzgeschichte. In: Navi des Grauens. Anthologie. Pia Bächtold Verlag, Wangen 2011, 351 S., 13,50 €, ISBN: 978-3940951694
Tanz ohne Tänzer. Kurzgeschichte. In:Das Haus am Zeilenweise-Platz, Verlag Edition Doppelpunkt, ISBN 978-3937950983
Nachtzug. Roman. Pia Bächtold Verlag, Wangen 2011, 468 S., 14,99 €, ISBN: 978-3-940951-79-3
Die Weiße Frau – Eine Legende vom Schloss Ringenberg aus Hamminkeln. Pia Bächtold Verlag, Wangen 2011, 426 Seiten, EUR 14,99, ISBN: 978-3-940951-82-3
Informationen über Wolfgang Brunner und seine Romane findet man auf der Homepage unter www.wolfgangbrunner.de
Das Interview wurde geführt von Bücherwelt.